← ← ←Pius XII. und Österreich

Das Projekt wurde im Jahr 2023 ins Leben gerufen und widmet sich der systematischen Auswertung der seit März 2020 neu zugänglich gewordenen Quellenbestände der vatikanischen Archive zum Pontifikat Pius XII. (1939-1958) mit Bezug auf Österreich.
Im Pontifikat Pius XII. durchlitt Europa mit dem Zweiten Weltkrieg, den nationalsozialistischen Völkermorden, der Neuordnung des Kontinents nach Kriegsende und dem Beginn des Kalten Krieges die wohl bewegteste Periode des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Projekt erforscht die diplomatischen Aktivitäten, Wahrnehmungen und die Haltung des Heiligen Stuhls zu den Herausforderungen dieser bewegten Zeit mit Bezug auf Österreich. Bereits vor der Thronbesteigung Pius XII. war für die katholische Kirche in Österreich der Versuch eines „Appeasements“ der neuen nationalsozialistischen Machthaber gescheitert. Es folgten Jahre der Zerschlagung kirchlicher Institutionen und Strukturen, Enteignung von Kirchenbesitz und Verfolgung des Klerus. Während und nach dem Krieg waren die katholischen Bischöfe und der Vatikan Anlaufstelle für Flüchtlinge und Vertriebene. Das Staatssekretariat des Heiligen Stuhls spielte eine Sonderrolle in der Vermittlung von Aus- und Einreisevisa für getaufte und ungetaufte jüdische Flüchtlinge. Nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten war der Hl. Stuhl unter den ersten Akteuren der internationalen Diplomatie, die wieder offizielle Beziehungen zum österreichischen Staat aufnahmen. Für die österreichischen Bischöfe galt es, ein neues Verhältnis zur wiedererstandenen Republik zu finden. So war etwa lange umstritten, ob und in welchem Ausmaß das Konkordat aus dem Jahr 1933 weiterhin in Kraft war. In den frühen 1950ern wurden grundsätzliche Vorentscheidungen für ein künftiges Staats-Kirchen-Verhältnis für eine Zeit nach dem Staatsvertrag getroffen, die mit der Parole „eine freie Kirche im freien Staat“ eine grundsätzliche Neubestimmung bezüglich Kongrua, katholische Bildungsarbeit und Ehe- und Familienrecht vorbereiteten. Die Entscheidungen der österreichischen Politik in diesen Bereichen entgegen der Bestimmungen des Konkordats, die während der NS-Zeit eingeführte Neuerungen wie Kirchensteuer, Zivilehe und Möglichkeit zur Abmeldung vom Religionsunterricht beizubehalten, wurde im Vatikan überaus kritisch gesehen. Entgegenkommender war die österreichische Regierung im Schulwesen, wo man sich bereit erklärte, katholische Privatschulen dadurch zu fördern, dass die Lehrergehälter vom Staat übernommen wurden. Dadurch prägen die zwischen der österreichischen Regierung, dem österreichischen Episkopat und dem Vatikan ausverhandelten Kompromisse bis heute das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche in der Zweiten Republik.
Neben den reichen Aktenbeständen im Apostolischen Archiv (v.a. Wiener Nuntiatur) kommt der „Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten“ (Congregazione per gli affari ecclesiastici straordinari) des Staatssekretariats als zentralem Beratungsgremium des Papstes in außenpolitischen Angelegenheiten für diese Thematik große Bedeutung zu. Ihr Aufgabenbereich umfasst die Beziehungen zu den Staaten, also die gesamte vatikanische Diplomatie, und die päpstliche Außenpolitik. Die „Affari Ecclesiastici“ sind daher unter dem Pontifikat Pius XII. der wichtigste Archivbestand für das Verhältnis von Kirche und Staat. In diesem Archiv sind der größte Teil der politischen Berichte abgelegt, weiters die Weisungen des Staatssekretärs an die Nuntien sowie die politische Korrespondenz mit der Vatikanbotschaft, mit Regierungsstellen und mit den Diözesanbischöfen. Gemeinsam mit dem im Apostolischen Archiv verwahrten Dokumenten der Wiener Nuntiatur, also der offiziellen Repräsentation des Hl. Stuhls bei der Republik Österreich, geben sie Einblick in die vatikanische Perspektive auf politische und religiöse Ereignisse in Österreich.
Die Arbeiten des Projekts werden von mehreren Seiten maßgeblich unterstützt. Zu den Mittelgebern zählen der Österreichische Zukunftsfonds und der Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus.
Projektleiter und Bearbeiter: Bernhard Kronegger
Kontakt: kronegger@oehirom.it