stemma

Das Projekt geht auf eine Initiative des Instituts für Romanistik der Universität Wien in Kooperation mit kroatischen Forschungsstellen zurück. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens konnte Andreas Gottsmann 2014 und 2015 Archivforschungen im Staatsarchiv Rijeka (Državni arhiv u Rijeci) durchführen. Bearbeitet wurden die Akten der Bezirkshauptmannschaft Volosca für den Zeitraum 1885 bis 1918.

Der aus zwei Gerichtsbezirken bestehende politische Bezirk Volosca/Volosko war Teil des Kronlandes Küstenland und unterstand der Statthalterei in Triest. Der Gerichtsbezirk Volosca war von Kroaten und einer kleinen italienischen Minderheit bewohnt, weiters gab es eine mit dem Kurtourismus um Abbazia/Opatija verbundene starke internationale Präsenz. Im Nordwesten schloss der an das Kronland Krain grenzende agrarisch geprägte slowenische Gerichtsbezirk Castelnuovo/Podgrad an.

Die im Staatarchiv Rijeka aufbewahrten Akten der österreichischen Bezirkshauptmannschaft enthalten Korrespondenzen mit der Statthalterei in Triest/Trieste/Trst, mit den Gemeinden, den Pfarren, der italienisch dominierten Landesregierung (Landesausschuss) und mit der Gendarmerie. Sie vermitteln das Bild eines vergleichsweise ruhigen Bezirks mit funktionierenden Gemeindeverwaltungen, erkennbar wird aber auch eine zunehmende politische und nationale Mobilisierung. Ausgangspunkt für die Entstehung einer kroatischen Zivilgesellschaft in Istrien war das an die slowenischen Gebiete grenzende Castua/Kastav. Der Katholizismus war ein wesentliches Element der Identität von Slowenen und Kroaten, Priester wurden zu national-politischen Führungspersönlichkeiten, die enge Kontakte nach Kroatien-Slawonien und Dalmatien unterhielten. Im Gegensatz dazu setzten sich die Protagonisten der autonomistischen Strömung für die kulturelle und politische Eigenständigkeit Istriens ein. Im Rahmen dieser Bewegung kooperierten Kroaten und Italiener und distanzierten sich von radikalen Positionen (Irredentismus und Jugoslawismus). Die autonomistischen Kroaten übernahmen nicht nur die kulturellen Werte der Italiener, sondern auch ihre liberale und antiklerikale Grundhaltung, was zu Reibereien mit den kroatischen Pfarrern führte. Von den nationalisierten Kroaten wurden die Autonomisten als „Italiener“ wahrgenommen. Die österreichische Staatsverwaltung unterstützte zwar aus politischen Gründen einen slawisch-italienischen „Hybridismus“, doch  war diese Kategorie in den Volkszählungen und im Schulwesen nicht vorgesehen. Die Wahlsiege der Autonomisten führten in den Gemeindevertretungen und Pfarren zu Konfrontationen mit den Kroatisch-Nationalen. Die Kurverwaltung stellte sich auf die Seite der in den Gemeinden des Kurbezirks dominierenden Autonomisten.

Die österreichische Verwaltung wurde von allen Seiten mit einander widersprechenden Anschuldigungen konfrontiert. In Einzelfällen musste sogar die Gendarmerie eingesetzt werden, um die öffentliche Ruhe sicherzustellen. Auch im Schulwesen verstärkten sich die Probleme, da der Utraquismus zurückgedrängt und auf Initiative der Schulvereine (Lega nazionale, Cyrill- und Methodgesellschaft) vermehrt nationale Schulen gegründet wurden. Die Einsprachigkeit der Schulen entsprach aber nicht  den Erfordernissen einer sprachlich gemischten Gesellschaft. Diese Diskrepanzen wurden auch bei den alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählungen deutlich, die durch die Umgangssprachenerhebung zu einer versteckten Nationalitätenfeststellung wurden. Die Frage nach der Umgangssprache verfälschte die Ergebnisse, die Einschränkung auf wenige vordefinierte Kategorien (Italienisch, Slowenisch, Serbo-Kroatisch) ließ zudem keinen Raum für Zwischenlösungen und verhinderte ein realistisches Abbild der äußerst komplizierten sprachlichen Verhältnisse Istriens. Eine weitere Radikalisierung erfolgte im Zuge von Gemeinde-, Landtags- und Reichsratswahlen, die jeweils zu Nationalisierungsschüben führten.

Die auf Kooperation ausgerichteten politischen und gesellschaftlichen Modelle gerieten in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg unter Druck. Überraschend ist, dass von den Behörden auch noch während des Krieges die ungebrochene Loyalität der (Land-)Bevölkerung betont wurde. Liberalismus und Demokratisierung hatten in den vorhergehenden Jahrzehnten die Partizipationsmöglichkeiten erhöht, doch die politische Mobilisierung erfolgte mit populistischen Methoden und verringerte die Chancen transnationaler Kooperation. Die österreichische Staatsverwaltung war bemüht, diese für das Staatsganze nachteiligen Entwicklungen zu bremsen. Allerdings leistete sie ihnen indirekt auch Vorschub: Die Modernisierung des Landes erforderte eine genaue statistische Kategorisierung und Klassifizierung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse, die auftretenden Diskrepanzen wurden von den nationalen Parteien propagandistisch genützt und gezielt verstärkt. Durch die Umwälzungen der Zwischenkriegszeit verschwanden die kooperativen Ansätze und wurden durch die Idee einer ethnisch homogenen Gesellschaft ersetzt.

Derzeit sind mehrere wissenschaftliche Beiträge in Ausarbeitung, in denen die Forschungsergebnisse präsentiert werden.