Leo XII

Der in der Öffentlichkeit weitgehend „vergessene“ Papst Leo XII. ist auch in der Historiographie unterbewertet, nur wenige Historiker widmeten sich bisher eingehender diesem Pontifikat. Eine diesbezügliche Forschungsinitiative der Päpstlichen Universität Gregoriana (Univ.-Prof. Dr. Roberto Regoli) gab den Anlass für dieses Forschungsprojekt, das die Bedeutung des Pontifikats für die Habsburgermonarchie beleuchtet. Die Wahl Leos XII. im September 1823 leitete einen Paradigmenwechsel ein und brachte das Ende des „Systems Consalvi“ mit sich. Damit wurde die Vorstellung von einem politischen Papsttum zurückgedrängt, das außenpolitisch von einer Zusammenarbeit mit den europäischen Mächten und innerkirchlich von einer Öffnung gegenüber den Strömungen und Anforderungen der modernen Zeit gekennzeichnet war. Leo XII. – Annibale della Genga – war Vertreter der „Zelanti“ und als solcher Verfechter einer rückwärtsgewandten katholischen Ideologie. Die Zelanti strebten den Rückzug des Papsttums auf die vormodernen Grundwerte des Katholizismus an, Kompromisse mit Ideen der Aufklärung lehnten sie ab. Durch seine Doppelrolle als Kirchen- und Staatsoberhaupt stand das Papsttum in einem fatalen und letztlich ausweglosen gesellschaftlichen Spannungsverhältnis zwischen theologischen Ansprüchen und politischer Realität.

Die Habsburgermonarchie war durch die seit dem Wiener Kongress ausgeübte Funktion als Ordnungsmacht in Italien in die Papstwahlen involviertHabs, denn diese waren im 19. Jahrhundert nicht nur ein kirchenpolitisch bedeutsames Ereignis, sie war vor allem ein potentieller Unsicherheitsfaktor für das labile politische Gleichgewicht der italienischen Staatenwelt. Das Papsttum hatte in dreierlei Hinsicht Bedeutung für die Politik Metternichs: In den internationalen Beziehungen als zentrale moralisch-ideologische Stütze der anti-liberalen und anti-revolutionären Politik der Habsburgermonarchie, in der Italienpolitik als Oberhaupt des zweitgrößten italienischen Staates sowie in der Innenpolitik als politischer Verbündeter, mit dem beim schrittweisen Rückzug des josephinischen Staatskirchensystems Kompromisse einzugehen waren. Die Entsendung eines fähigen Diplomaten, der die Interessen des Wiener Hofs in Rom erfolgreich vertreten konnte, hatte aus diesen Gründen für Staatskanzler Metternich große Bedeutung. Seine Wahl fiel auf Graf Anton Apponyi, der auch in anderen Spitzenpositionen der österreichischen Diplomatie, insbesondere in London und Paris, tätig gewesen war und sich auch schon unter Pius VII. als österreichischer Gesandter am päpstlichen Hof aufgehalten hatte. Seine Berichte zeugen von einem intensiven diplomatischen und politischen Engagement und stellen darüber hinaus eine wertvolle kulturhistorische Quelle dar.

Für Leo XII. wurde das Heilige Jahr 1825 zum Höhepunkt seines Pontifikats. Die österreichische Diplomatie und Staatskanzler Metternich – er wollte die Verwirklichung der Pläne des Papstes wegen Sicherheitsbedenken verhindern – erkannten erst spät, dass der kränkliche und leidende Leo XII. fest entschlossen war, sich über alle äußeren und inneren Widerstände hinwegzusetzen. Er war überzeugt davon, dass das Jubiläumsjahr den sehnlich erwarteten Impuls religiöser Erneuerung bringen würde – doch es sollte eine rückwärtsgewandte Wende sein. Sie war Teil des Masterplans der „Zelanti“, die der Kirche, basierend auf mittelalterlichen theologischen Prinzipien, ihre alte Macht und ihren Einfluss wiedergeben wollten. Die Geschäfte der österreichischen Botschaft in Rom führte nach dem Abgang Apponyis der Gesandte Ferdinand von Gennotte, der als Anhänger des Josephinismus den Zelanti sehr kritisch gegenüberstand. Doch auch Staatskanzler Metternich drängte im Hinblick auf die gefährdete politische Stabilität in Italien auf Reformen im Kirchenstaat. Leo XII. strebte zwar außenpolitische Kompromisse mit den europäischen Mächten an, verwehrte sich aber gegen politische Einmischungen in die inneren Angelegenheiten des Kirchenstaats. Innenpolitisch setzte man in Rom auf ein hartes Vorgehen gegenüber den Briganten an der Südgrenze zum Königreich Neapel-Sizilien und gegen die revolutionären Bewegungen im Norden, den sogenannten „Settari“. Mit polizeistaatlichen Methoden sollten die Regimegegner und Briganten kompromisslos unterdrückt werden. Das Scheitern dieser Strategie, verbunden mit einer eklatanten ökonomischen Vernachlässigung des Landes und einer daraus resultierenden Wirtschaftskrise, brachte den Staat an den Rand des Zusammenbruchs. Ein militärisches Eingreifen der Habsburgermonarchie wurde notwendig, um die Sicherheit wiederherzustellen und damit den Staat zu stabilisieren. Österreich kam die Rolle des Polizisten und der Krisenfeuerwehr zu, der politische Einfluss Metternichs in den süditalienischen Staaten war aber gering. In Wien hielt man eine Reform des italienischen Staatensystems für überfällig. In welcher Form dies aber erfolgen sollte und ob dies mit einem Erhalt der Habsburgerherrschaft im Norden Italiens verbunden sein konnte, das war zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Deutlich wird in den Korrespondenzen der Anspruch Leos XII. auf eine moralische Führungsrolle in der westlich-katholischen Welt – ein Anspruch, der sich in dieser Form erstmals manifestierte und dann auch von seinen Nachfolgern bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts erhoben wurde.

 

Forschungsergebnisse:

Pdf Das Heilige Jahr 1825 – religiöser Aufbruch oder politischer Niedergang? Österreichische Politik im Kirchenstaat zwischen Reform und Reaktion

Pdf La diplomazia di Metternich e il Conclave del 1823

Pdf Vom Scheitern politischer Strategien: Österreich und das Konklave von 1823

Pdf Leone XII e l‘Austria